Wie wichtig ist Stillen wirklich?
Eigentlich ist das ja keine Frage. Wer ein Kind bekommt, der hat gefälligst auch zu stillen. Aber was, wenn Frau das einfach, aus welchen Gründen auch immer, nicht kann? Oder wenn sie, so wie ich, einfach nicht möchte? Dann kommen sie unter ihrem Stein hervor, die heimlichen Wissenschaftler und Stillberaterinnen.
Stillen ist die beste und natürlichste Ernährung für Ihr Baby. Das ist nicht nur ein Claim, der seit Dekaden von der WHO genutzt wird, sondern auch der Disclaimer, den man bei jedem Versuch online Säuglingsnahrung zu kaufen erstmal wegklicken muss.
Stillen ist also das natürlichste auf der Welt. So einfach ist das. Baby kommt, wird angelegt und alles läuft. Das es so aber nur in den aller wenigsten Fällen abläuft, darüber wird kaum gesprochen. Milchstau ist keine schöne Sache. Besonders dann nicht, wenn er mit Abszessen einher geht. Bilder erspare ich euch lieber.
Aber auch abgesehen von solchen, zugegeben, etwas dramatischen Komplikationen ist stillen kein einfacher Job. Jedes bisschen Stress oder eine Erkrankung wirken sich sofort auch auf den Milchfluss aus. Bei einigen mehr, bei anderen weniger. Und stillen ist harte Arbeit. Dem Körper wird so einiges abverlangt.
Und manche Mütter möchten auch einfach nicht stillen. Für mich stand von Anfang an fest, dass ich lieber Fläschchen geben möchte. Der Gedanke zu stillen ruft in mir einfach keine besonders positiven Gefühle hervor. Da ich aber natürlich nicht einfach so eine Entscheidung treffen kann, die potentiell Auswirkungen auf das Wohl unserer Tochter hat, habe ich versucht mich zu informieren. Stunden habe ich mit der Suche nach Studien zugebracht, die wirklich belegen, dass Stillen besser ist. Das Ergebnis ist ernüchternd. Jede Seite hat mehr als genügend Studien veröffentlicht, die den jeweiligen Stand unterstützen.
Die wenig aussagekräftigen Studien
Zwar schützt Stillen vor bestimmten Erkrankungen, andererseits nehmen aber Kinder die gestillt werden unter Umständen auch mehr Schadstoffe auf (so zum Beispiel das 42 fache der zulässigen Menge an Dioxin). Babies die Fläschchen bekommen haben aber öfter Probleme mit dem Bauch als gestillte Kinder.
So oder so lassen sich aber keine gravierenden langfristigen Unterschiede feststellen. Sowohl Intelligenz als auch Gesundheit der Zwillinge waren ähnlich gut entwickelt.
Der Umgangston
Das bedeutet nicht, das Stillen nicht auch durchaus Vorteile hat. Was aber so nicht weiter gehen kann, ist die Stigmatisierung der Frauen, die nicht stillen können oder wollen. Stattdessen bekommt man schon im Krankenhaus böse Blicke einiger Schwestern und gerne auch extrem dumme Kommentare von anderen Müttern entgegen geworfen. „Sie möchten nicht stillen? Wie egoistisch.“ „Stillen ist das Beste. Mit dem Pulver fehlt dem Baby so viel.“ „Mit dem Fläschchen können sie aber keine enge Bindung zu ihrem Kind aufbauen.“
Ja klar! Meine Reaktion bei solchen Kommentaren ist ja, auf Durchzug zu stellen. Es ist mir vollkommen egal, was andere Mütter (die alle anscheinend Medizin und Psychologie studiert haben) denken.
Ratet mal: Gebe ich unserer Kleinen ihr Fläschchen ist das nicht viel anders als stillen. Sie liegt ganz entspannt im Arm, schaut mich an und hält meine Hand. Der gravierende Unterschied ist, dass sie das auch bei meinem Mann tun kann, wenn er sie füttert. Man teilt sich also die Bindung. Das ist auch nicht das schlechteste.
Und was die Entwicklung angeht: Sie ist kerngesund und liegt mit allen Daten perfekt auf dem Punkt. Auch das Vorurteil, dass Fläschchen-Kinder mehr spucken können wir so nicht bestätigen.
Was mich wirklich ärgert ist aber, dass es Müttern die nicht stillen können so schwer gemacht wird. Bei mir war es eine Entscheidung, die ich ganz bewusst getroffen habe. Mein Mann ist auch ganz zufrieden damit, da er sich so auch um unsere Tochter kümmern kann. Es gibt aber auch den komplett anderen Fall: Eine Mutter möchte gerne stillen, kann aber nicht. Wie schon erwähnt: Stillen ist kein Spaziergang und manchmal funktioniert es einfach nicht richtig. Und anstatt solche Mütter, die sich dann eh schon elend genug fühlen, aufzufangen, ihnen zu sagen, dass es alles nicht so schlimm ist, wird auch noch weiter Druck gemacht. Die Hebamme legt das Baby immer wieder an, auch wenn es einfach nicht geht. Es werden Globuli gegeben, Wärmekissen, Kühlkissen und was auch immer. Und kauft man dann Milchpulver, weil das Baby ja irgendwas essen muss sieht man auf jeder Packung den Hinweis: „Stillen ist das Beste für ihr Baby. Sprechen sie mit ihrem Kinderarzt….“ Versucht man online Pulver zu kaufen, muss man erst pop up Meldungen wegklicken. Jedes Mal aufs neue. Auch Informationen über Milchpulver zu finden ist fast unmöglich, da Säuglingsnahrung nicht beworben werden darf. Man muss schon ganz genau wissen, wonach man sucht und Zeit investieren. Und fragt man mutig irgendwo nach, kommen die ganzen Experten-Mütter wieder gleich mit der Keule um die Ecke und beschimpfen und verurteilen.
Dabei sieht die Realität doch ganz anders aus. Stillen mag das Beste sein. Säuglingsnahrung ist darum aber nicht unbedingt viel schlechter. Kein Nahrungsmittel wird hier so akribisch geprüft und getestet. Es hat schon seinen Grund, warum Asiaten das Pulver palettenweise aus unseren Drogeriemärkten schleppen. Gerade Pre Nahrung steht Muttermilch kaum in etwas nach und nachts Fläschchen zubereiten zu müssen ist nun wirklich nicht mal halb so ein Aufwand, wie immer vermutet wird. (Gerade Cool Twister und Milchpulverportionierer sind da wahre Lebensretter. Siehe hier.)
Auch die Bindung zum Baby leidet kein Stück. Unsere Tochter erkennt mich auch ohne Probleme und lächelt mich an, wenn ich sie morgens aus dem Bettchen hole.
Eigentlich müsste es so ablaufen: „Sie können nicht stillen? Das ist wirklich schade, aber machen sie sich nichts draus. Mit Fläschchen wird ihr Baby auch wunderbar groß. Und so hat ihr Partner auch was davon und kann sie viel besser unterstützen.“
Fazit: Stillen oder nicht stillen?
Jede Frau sollte die Möglichkeit haben, selber zu entscheiden, wie sie damit umgehen möchte. Und es wird Zeit, endlich für mehr Unterstützung und weniger Schuldgefühle zu sorgen, denn gerade dieser Stress macht das Mutter sein nun auch nicht leichter.